Franziskus – die Erschöpfung eines einsamen Papstes
« Aktuelles |Marco Politi |
Il Fatto Quotidiano, 6. Dezember 2013
Ein Schwindelgefühl, die Absage eines Treffen, ein scharfer Kommentar zu den Entscheidungen des neuen Papstes. Am Mittwoch war während einiger Stunden wegen Papst Bergoglio eine Alarmglocke zu hören. Nach der Generalaudienz auf dem Petersplatz – die Temperatur war kalt – spürte Franziskus bei der Drehung des Kopfes einen Schwindel. Das leichte Unwohlsein zwang ihn, sich zur Ruhe zu begeben und deswegen das Treffen mit Kardinal Angelo Scola abzusagen, der eigens aus Mailand gekommen war, um mit ihm über einen zukünftigen Besuch bei der Expo 2015 zu sprechen.
Das ist keine Kleinigkeit. Scola war im Konklave der Gegenspieler Bergoglios: natürlich nicht aus persönlichen Motiven, sondern als Exponent einer anderen Fraktion. Scola ist immer noch einer der einflussreichsten Bischöfe unter den italienischen Bischöfen, und eine gute Beziehung zu ihm ist entscheidend, um die italienische Bischofskonferenz an der Reformlinie zu orientieren, die der Papst im Sinn hat.
In der Tat, Franziskus beansprucht extrem seine Kräfte. Mit seinen 76 Jahren und mit der Verantwortung für eine Organisation von über 1,1 Milliarden Anhängern hat der argentinische Papst sich in diesem Sommer nicht einen Moment Zeit genommen, um Urlaub zu machen. Anders als Johannes Paul II. hat er sich nicht mit kleinen “Fluchten” in die Natur wieder regeneriert und anders als Benedikt XVI. nimmt er sich nicht jeden Tag eine Stunde, um in den Vatikanischen Gärten spazieren zu gehen. Den Jungs von der Pfarrei St. Cyrill in Rom sagte er am vergangenen Sonntag, dass er nach dem Mittagessen ein halbstündiges Nickerchen macht und dann “wieder bis zum Abend arbeitet.” Franziskus überfordert seine Kraft.
Dafür gibt es ein Motiv. Bergoglio hat das Gefühl, nicht viel Zeit zu haben. Zehn Jahre vielleicht, bevor auch er entscheiden muss, den Stab in andere Hände zu legen. Und zehn Jahre sind in der Geschichte der Kirche sehr wenig. In der Flut von Lob und Beifall, die ihn umgeben, ist der argentinische Papst einsam, sehr einsam. Würde er sich auf das Programm beschränken, das viele Kardinäle von ihm erwarten, gäbe es keine Probleme. Die Neuordnung des IOR und die Straffung der Kurie sind als technische Probleme unschwer zu bewältigen. Häufigere Konsultation der Bischöfe – wie bei den Generalversammlungen vor dem Konklave vom zukünftigen Papst gefordert – ließe sich durch häufigere Plenarsitzungen des Kardinalskollegiums und durch präzise Tagesordnungen erreichen.
Aber Franziskus tut viel mehr, als viele seiner Wähler sich vorgestellt hatten (ebenso geschah es bei Johannes XXIII.). Er will die Kurie von Grund auf neu gestalten, die Bischofssynode reorganisieren, einen neuen Ansatz für die Behandlung der Sexualitätsthematik entwickeln, den Klerus drängen, bürokratische Haltungen und selbstbezügliche Verhaltensweisen aufzugeben, den Amtsstil der Bischöfe verändern, Frauen in Leitungspositionen bringen, durch eine neue Kommission (die gestern angekündigt wurde) dem Kampf gegen Kindesmissbrauch neue Impulse geben, damit die Opfer besser geschützt sind und die Bischofskonferenzen Leitlinien erhalten.
Eine Frage schwebt über dem Apostolischen Palast: Wer unterstützt Franziskus? Auf welche Kräfte kann er sich verlassen? Die Antwort lautet: unter den aktiven Geistlichen und Bischöfen gibt es keine Pro-Franziskus-“Partei” oder -“Bewegung”. Ein solch korpulenter Apparat wie der kirchliche – Tausende von Bischöfen, Hunderttausende von Priestern und Ordensleuten, ein Netzwerk von großen und kleinen Machtzentren – lässt sich ohne eine starke Gruppe von treuen und engagierten Anhängern nicht reformieren.
In der Kurie gibt es noch kein Bergoglio-Team. Der neue Staatssekretär, Mons. Parolin, ist der richtige Mann (auch wegen seiner besonders priesterlichen Prägung), um mit Bergoglio zusammenzuarbeiten, aber die meisten Ämter der Kurie sind nur vorläufig besetzt.
Bis jetzt sind weder in den Kurien-Abteilungen noch im Weltepiskopat eine kompakte Gruppe von Kardinälen, Bischöfen und Priestern zu sehen, die bereit wären, für Bergoglio`s Reformen zu kämpfen, wie es die Verfechter der Gregorianischen Reform im Mittelalter oder nach der Wende durch das Konzil von Trient getan haben. Die nationalen Bischofskonferenzen sehen tatenlos zu. Zu viele nehmen die Anstöße von Franziskus passiv entgegen. Viele Konservative warten schweigend darauf, dass er einen Fehltritt tut. In den großen Organisationen weiß der Apparat, dass er aus Gummi gemacht ist.
In dieser Atmosphäre säen die Aussagen des Sekretärs von Ratzinger, Mons. Gänswein, in der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT Beunruhigung. Die Zeitschrift schrieb, wenn auch nicht in Anführungszeichen, dass die rechte Hand von Papst Benedikt die Entscheidung von Franziskus, nicht in den päpstlichen Gemächern zu wohnen, als “Affront” wahrgenommen habe. Darüber hinaus rief Gänswein fast verzweifelt aus – und gibt damit zu erkennen, dass der Papst ja nur eine Einzelperson ist – wörtlich: “Ich warte jeden Tag von Neuem, was heute anders sein wird (als bisher).” Das ist keine Ermutigung, diese Aussage bedeutet eine Ablehnung des neuen Kurses. Franziskus ist einsam, auch wenn das Herz der Gläubigen für ihn schlägt.
(Übersetzung: Norbert Arntz)