Fülle in der verordneten Leere
Aktuelles, Allgemein-Eintrag vom 01.07.2020Reflexionen über Ostererfahrungen während der Corona-Krise 2020
Der folgende Text stammt von zehn Ordensfrauen der Gruppe „Ordensfrauen für Menschenwürde“, die sich im Herbst 2018 in München gebildet hat.
Er reflektiert, wie die Herausforderungen der Corona-Pandemie von den Ordensfrauen kreativ aufgegriffen und bewältigt wurden. Die Erfahrungen betreffen besonders die Themenkreise Sakramentenverständnis, Eucharistieverständnis und Amtsverständnis, bzw. Priesterbild. Als Ordensfrauen, die in vielfältigen internen wie externen Beziehungen stehen, beleuchten wir unsere Gemeinschaftserfahrungen und reflektieren die Frage nach einer alltagstauglichen Begegnung mit Gott, anstelle einer rein ritualisierten Religionspraxis.
Die darin zum Ausdruck gebrachten Forderungen sind keineswegs neu und werden seit Jahrzehnten von vielen Menschen immer wieder in den theologischen wie den kirchenamtlichen Diskurs eingespeist. Allerdings sind sie nun durch Corona in einer neuen Weise erfahrungsgesättigt. Und wir sind überzeugt, dass viele Christen und Christinnen ähnliche Erfahrungen beisteuern könnten.
“Wir hatten alles geplant. Wir hatten uns um einen Priester bemüht, weil das nach den Regeln der katholischen Kirche so zu sein hat. Doch dann kam ganz überraschend und sehr kurzfristig (…) die Absage und wir standen vor der Situation, nun selbst feiern zu müssen, sollen, dürfen, können…“
So beschreibt eine Ordensfrau die Tage kurz vor Ostern. Viele Gläubige und viele Schwestern-gemeinschaften teilen solche besonderen Kar- und Ostererfahrungen während der Corona-Krise 2020, als alle öffentlichen Gottesdienste abgesagt waren und in vielen Frauengemeinschaften die Feier der Eucharistie mit einem externen Zelebranten kurzfristig untersagt war.
In der Corona-Krise hatten wir keine Wahl und genau das eröffnete echte Alternativen. Mit dem Bruch und Wegfall des Vertrauten – manchmal auch Eingefahrenen – entstand zunächst Leere und dann Raum für einen Diskurs und ein gemeinsames Suchen. Wie kann es gehen? Was ist uns wichtig? Was ist für unseren Glauben und die Feier unseres Glaubens zentral? Und die oft begrenzende Frage: was ist erlaubt?
Als Ordensfrauen können wir unser gesamtes Leben selbst verantworten, organisieren und durchführen – gerade auch in geistlichen Belangen – aber die Eucharistiefeier nicht. Einer Priorin/ Oberin steht die geistliche Leitung einer Gemeinschaft zu – aber nicht der Vorsitz bei der Eucharistiefeier. Welches Gemeindebild, welches Priesterbild und welches Frauenbild stehen dahinter? Hier zeigt sich eine Schieflage der katholischen Kirche und eine extreme Abhängigkeit der (Ordens-)Frauen von einem geweihten Mann.
Vielen von uns war klar: wir setzen uns nicht einfach vor den Fernseher oder einen Live-Stream. So hilfreich und wertvoll das für manche Gläubige, besonders für ältere Menschen, Alleinstehende oder auch Mitschwestern in Quarantäne gewesen sein mag; die medial kon-sumierte Feier kann die reale Feier nicht ersetzen. Es war und blieb für uns ein schmerzhafter Stich ins Herz, dem Zelebranten beim Kommunizieren zuzuschauen, ohne selbst teilhaben zu können. Als ebenso unmöglich haben wir Eucharistiefeiern mit Gemeinde ohne Kommunion-spendung erlebt.
Es stellen sich zentrale Fragen an das Eucharistieverständnis: ist die Eucharistie eine gemeinsame Mahlfeier, oder ein exklusives Geschehen, das dem geweihten Priester vorbehalten ist? Das 2. Vatikanische Konzil formuliert hier sehr eindeutig: es geht darum, dass “alle, [die] durch Glauben und Taufe Kinder Gottes geworden [sind], sich versammeln (…) und das Herrenmahl genießen.” (SC 10) Wir fragen uns: Ist die korrekt gefeierte Form wichtiger als der Inhalt? Wie sehr wird ernsthaft die Communio als zentral für die Eucharistiefeier angesehen?
Weiter: Fassen die Regeln und Vorschriften das Sakramentsverständnis nicht zu eng? Kann nicht „alles zum wirksamen Zeichen der Gegenwart Gottes werden“ (Leonardo Boff), wenn es in mir – oder uns – auf Resonanz trifft?
Warum muss das gültig gefeierte Sakrament immer noch an der kirchengeschichtlich gewachsenen Entscheidung hängen, dass nur ein ehelos lebender Mann zum Priester geweiht werden kann? Warum können nicht endlich, um jeder Gemeinde die sonntägliche Eucharistiefeier mit einer Gemeinschaftserfahrung zu ermöglichen, Personen beiderlei Geschlechts aus der Ge-meinde zu diesem Amt beauftragt werden – natürlich mit entsprechender Ausbildung?
Wir erleben, dass das kirchliche Amtsverständnis sehr stark in der Gefahr ist, ungute Machtverhältnisse zu zementieren – und das auf Kosten des Heilsgeschehens für alle Menschen. Dienen unsere sakramentalen Formen wirklich dem Leben oder hat sich das Leben nicht in-zwischen den Formen unterzuordnen?
Manchmal wurden solche Messen durch den Gedanken vom „stellvertretenden Gottesdienstfeiern“ gerechtfertigt. Wie ist die “stellvertretende” Feier zu verstehen? Es machte sich bei uns Unbehagen breit, wenn Bischöfe/Priester sehr großzügig verkündeten, dass sie stellver-tretend für die abwesende Gemeinde Eucharistie feierten. Ja, auch das kann für manche Gläu-bige ein geistlicher Trost sein. Doch theologisch gehören Stellvertretung und Solidarität eng zusammen. Jesus lebte die Solidarität Gottes mit uns Menschen in der Menschwerdung und seinem Sterben und erst das begründete die Möglichkeit seiner Stellvertretung. Für uns war es an mancher Stelle tröstlicher, wenn auch Bischöfe/ Priester solidarisch mit allen Gläubigen auf die Eucharistiefeier verzichtet haben, denn eine Gemeinde kann ohne Priester keine Eucharistie feiern – umgekehrt gilt das Gleiche!!
Wir haben in unseren Gemeinschaften in den vergangenen Wochen dennoch Mahlfeiern erlebt, die jede Engführung auf die Eucharistiefeier gesprengt haben. Wir haben Brot und Wein geteilt und vielfältige Erfahrungen zeigen, dass darin Jesus Christus als präsent erlebt wurde. Beim Abendmahl gab Jesus seinen Freunden den Auftrag: “Tut dies zu meinem Gedächtnis” (1Kor 11,24-25). Dabei geht es um viel mehr, als um reine Erinnerung. Es geht um Vergegenwärtigung. Für viele von uns ist dieser Gedanke zentral: Christen versammeln sich, von Jesus Christus eingeladen, und dürfen erleben, dass Gott gegenwärtig ist. Seine Gegenwart zeigt sich in der Gemeinschaft, in seinem Wort, in vielen weiteren Ereignissen der Feier und in besonderer Weise in Brot und Wein. Ist nicht dieser Moment der „Wandlung“ einzig an einen tiefen Glauben daran gebunden, dass sich Jesus wahrhaft in Seiner Ganzheit als ein geistiges Geschehen „runter brechen lässt“ in Brot und Wein? Dieses „Mysterium“ kann nicht an einen Mann mit Weihe gebunden sein.
Die lebendigen Agape-Erfahrungen können nicht mit der Konsumierung von konsekrierten Hostien (“aus der Konserve”) verglichen werden. Dieser Gang zum Tabernakel wurde immer wieder als Bruch in der Feier erlebt. Entscheidend ist der unbedingte und unverfügbare Heilswille Gottes für alle Anwesenden. So erfuhren wir uns im gemeinsamen Feiern immer wieder als Eingeladene und Beschenkte – nicht als “Macherinnen”.
So fasste schließlich eine Schwester das gemeinsame Feiern zusammen: “Ich habe noch nie in so viele strahlende Gesichter schauen dürfen, die berührt und erfüllt von diesen Tagen und unserem Feiern waren. Für mich war der Geist des Auferstandenen sehr spürbar unter uns wirksam, der in uns und mit uns etwas Wunderbares wirkte.”
In den Kontext der Überlegungen rund um die Eucharistiefeier gehört auch die Frage nach werktäglichen und sonn-/festtäglicher Feier. In sehr vielen Ordensregeln ist die möglichst tägliche Feier der Hl. Messe festgeschrieben. Wie gehen wir damit um, dass einige von uns in dieser erzwungenen “eucharistiefreien” Zeit die tägliche Feier (die wir teilweise über Jahrzehnte gewohnt waren!) nicht einmal vermisst haben?
Als Gedächtnis von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi hat die Eucharistiefeier ihren Platz am Sonntag, dem “ersten Tag der Woche” – als Quelle und Höhepunkt, nicht als tägliche Verpflichtung. In diesem Punkt besteht ein dringender Handlungsbedarf bei der Verfassung und Genehmigung von Ordensregeln.
Nährend und tragend wurde für viele von uns die Zeit der Kontemplation, der stillen Anbetung, das einfache Dasein in der Gegenwart Gottes, das gemeinsame Schweigen oder das Hören und der Austausch über das Wort Gottes. Als strukturierend für den Tag haben viele von uns das Stundengebet erfahren, das sowieso zu unserem “täglichen Brot” gehört und dem wir besondere Aufmerksamkeit widmeten.
Wir haben erfahren: der “Mangel” führte zu einem echten Gewinn an geistlicher Tiefe und zu einer sehr großen Sensibilität für kostbare Kleinigkeiten: Gesten der zwischenmenschlichen Aufmerksamkeit, die Zeichen der Gegenwart Christi wurden. So haben die Erfahrungen dieser Zeit die Engführung auf die Eucharistiefeier aufgelöst und die organische Verbindung von Li-turgie und Diakonie deutlich gemacht.
In den Kontext zu liturgischen Überlegungen gehören schließlich noch Fragen nach einer Verheutigung der liturgischen Sprache. Schwestern, die mit der Vorbereitung von liturgischen Feiern betraut waren, machten sich an die Umformulierung von Texten, “so dass ich sie selbst ehrlich beten konnte. Bei der Durchführung der Liturgie war für mich sehr eindrücklich, dass ich selbst beten konnte und den Gebeten den Ausdruck verleihen konnte, den ich ihnen beimesse. Ich war auf einmal nicht mehr in der Rolle der Zuhörerin, die sich nur mit standardisierten Antworten einbringen kann. Das fühlte sich für mich sehr gut an und war eine sehr andere Erfahrung.”
Daraus ergibt sich die brennende Frage: wie kann eine echte “volle, bewusste und tätige Teilnahme” (SC 14) gefördert werden? Manche Orationen sind so formuliert, dass viele von uns diese Texte kaum ertragen können. Wie mag es da erst Menschen gehen, die nicht wie wir eine jahrelange Einführung in die Liturgie(-geschichte) erhalten haben? So halten wir eine “Übersetzungsarbeit” von liturgischen Texten in die heutige Sprachwirklichkeit für unbedingt notwendig, weil sich der “kraft göttlicher Einsetzung unveränderliche Teil” von Liturgie (SC 21) nicht auf die Formulierung von Gebetstexten beziehen kann.
In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, wie eine alltagstaugliche Begegnung mit Gott besser ermöglicht werden kann. Die bisherige, oft institutionalisierte Religionspraxis, trennt gewöhnlich das Heilige vom Alltäglichen. Wir verweisen als unverzichtbare Anregung auf die Mystik als Erfahrungsweg (in Anlehnung an Martins Bubers „Ich und Du“) und auf zahlreiche christliche Mystikerinnen und Mystiker, für deren Anregungen suchende Menschen empfänglich sind.
Hier stellt sich die Frage: wo ist in unserem kirchlichen und liturgischen Betrieb Raum für die Stille, für die persönliche, individuelle Gottesbegegnung?
Viele Erfahrungen der vergangenen Monate lassen sich eng mit dem Emmausgeschehen in Verbindung bringen. So unternahmen Schwestern Spaziergänge in der Haltung von Madeleine Delbrel: „Geht hinaus ohne vorgefasste Ideen, ohne die Erwartung von Müdigkeit, ohne Plan von Gott; ohne Bescheidwissen über ihn, ohne Enthusiasmus, ohne Bibliothek – geht so auf die Begegnung mit ihm zu. Brecht auf ohne Landkarte – und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist, und nicht erst am Ziel. Versucht nicht, ihn nach Originalrezepten zu finden, sondern lasst euch von ihm finden in der Armut eines banalen Lebens.“
Unsere Fragen an den „Sinn“ von Corona sind keineswegs geklärt. Natürlich waren wir manch-mal traurig und verunsichert über die Situation. Wir leiden mit allen Menschen, die krank sind und mit allen, die durch die sozialen und finanziellen Folgen der Pandemie schwer getroffen sind. Wir sind besorgt über die furchtbaren Auswirkungen, die die Pandemie in den armen Ländern unserer Erde jetzt schon hat und weiter höchstwahrscheinlich haben wird. Besonders die starke Zunahme von (sexueller) Gewalt an Frauen macht uns Sorgen. Wir versuchten, mit unseren Möglichkeiten, Not zu lindern und ansonsten, wie Madeleine Delbrel es beschreibt, ohne vorgefasste Ideen, ohne Plan von Gott, ohne Bibliothek unterwegs zu sein und die Unsi-cherheit nicht zu verdrängen.
Gemeinsam Auf-dem-Weg-sein, zuhörend, nachfragend, ausdeutend – Christusbegegnung mitten unter uns. Dieser Dienst der Martyria wurde von Frauen selbstverständlich geleistet. Wir wünschen, dass diesem kirchlich-vernachlässigten, aber wichtigen Bereich mehr Aufmerk-samkeit gewidmet wird.
Auch in unseren Gemeinschaften gab es Konflikte; Versöhnung war wichtiger denn je. Wir haben erlebt, dass Fragen nach der Eucharistie Spannungen hervorgerufen haben. Nicht alle denken und empfinden gleich. Wir möchten weiterhin in Respekt mit denen leben, die anders denken und fühlen. Aber wir müssen unsere Fragen stellen und ernsthaft nach lebbaren und überzeugenden Antworten suchen. Als Ordensfrauen leben wir Communio – Gemeinschaft im Glauben, als Schwestern, die sich nicht selbst gesucht, sondern in der Liebe Gottes gefunden haben. Wir haben die Gemeinschaft – trotz aller Konflikte – in diesen Wochen als zentralen Teil unseres Lebens neu erfah-ren: im aufeinander angewiesen sein, als sicherheitsgebend und tragend, als Raum der gelebten und geschenkten Versöhnung und als Ort einer großen Charismenvielfalt, die sich endlich noch mehr entfalten konnte, weil Begabungen Raum bekamen.
Es gibt für uns kein Zurück mehr, hinter die Erfahrungen dieser Corona-Wochen 2020 – einer unglaublichen Fülle in der verordneten Leere.
Norbert Lohfink schrieb: „Priester(in) sein heißt, Zeuge(in) des Wunders sein“. In diesem Sinn leben wir „Ordensfrauen für Menschenwürde“ eine priesterliche Existenz und bezeugen die Wunder, die Gott getan hat.
Wir hoffen, dass unsere Erfahrungen dazu beitragen, dass neue Wege gesucht und mutig ge-gangen werden.
Ordensfrauen für Menschenwürde:
Sr. Karolina Schweihofer, MC, München, Sprecherin
Sr. Antonia Hippeli, OSB, Tutzing,
Sr. Ulla Mariam Hoffmann OSB, Tutzing
Sr. Mechthild Hommel OSB, Bernried
Sr. Ruth Schönenberger OSB, Tutzing
Sr. Susanne Schneider MC, München,
Sr. Hildegard Schreier MC, Generalleiterin, München
Sr. Veronika Sube OSB, Tutzing
Sr. Sara Thiel, Schwestern vom Göttlichen Erlöser, München
Sr. Hilmtrud Wendorff CJ, Nürnberg